Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Abgesehen vom Fehlen der nötigen Hilfsinstitutionen für Sexworker findet hier auch alles Platz, was ihr an bestehenden Einrichtungen auszusetzen habt oder loben wollt
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Zwerg
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Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Beitrag von Zwerg »

Ein paar Minuten Zeit, die man sich nehmen sollte:

Im Anhang der Bericht des deutschen Instituts für Menschenrechte - über Prostitution und Sexkaufverbot!
DIMR Prostitution - Sexkaufverbot 10.2019.pdf
Deutsches Institut für Menschenrechte - Prostitution und Sexkaufverbot
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deernhh
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Re: Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Beitrag von deernhh »

Danke @Zwerg für die Einstellung des Artikels!
Toller Artikel, richtig gut beschrieben!
Einige Texte setze ich hier mal ein, die nachdenklich machen sollten:

Der Staat ist, unabhängig davon wie er die Prostitution regelt, verpflichtet die
Rechte von Prostituierten, wie das Recht auf Gesundheitsversorgung, den Schutz vor Gewalt und
Ausbeutung und das Diskriminierungsverbot nicht nur auf dem Papier, sondern auch tatsächlich zu
gewährleisten.


Einige zivilgesellschaftliche Organisationen davon aus, dass es kaum freiwillige und selbstbestimmte
Prostitution gibt. Das trifft teilweise auf Beratungsstellen12 und auf Organisationen zu, die im
Schwerpunkt Ausstiegsberatung anbieten.13 Insbesondere letztere haben daher Kontakt zu Frauen, die
aussteigen wollen und dabei Unterstützung benötigen. Sie sehen einen Ausschnitt der Prostitution, der
für Frauen traumatisch ist. Diese Frauen erleben körperliche und sexuelle Gewalt sowie krankmachende
Bedingungen. Selbstvertretungsorganisationen und Berufsverbände betonen den Anteil freiwillig und
selbstbestimmt arbeitender Frauen14. Eine Verallgemeinerung dieser Perspektiven ist unzulässig und
empirisch falsch.
Beratungsstellen für Prostituierte und auch viele Fachberatungsstellen gegen
Menschenhandel, die in ihrer Arbeit ein breites Spektrum an Prostitutionsformen – freiwillig, wie
unfreiwillig – sehen, skizzieren ein differenziertes Bild. Sie erweitern die häufig klischeehaft verengte
Darstellung einer verelendeten, unfreiwilligen Straßen- und Beschaffungsprostitution auf der einen Seite
und von hochpreisiger, selbstbestimmter Arbeit in Dominastudios und Escortservices auf der anderen
Seite. Sie beschreiben die Bedingungen in den jeweiligen Arbeitsbereichen wie Laufhäusern, Bordellen,
Saunaclubs, Wohnungen, Lovemobilen, dem Escortbereich und Straßenstrich mit ihren jeweiligen Vor-
und Nachteilen inklusive ganz unterschiedlicher Gefahrenpotentiale für Prostituierte.15

Eine aktuelle umfangreiche Studie der Queen’s Universität, Belfast24 kommt mit einer besseren
Datenlage zu dem Ergebnis, dass das Sexkaufverbot von 2015 in Nordirland nicht zu der intendierten
Abnahme des Angebotes an sexuellen Dienstleistungen geführt hat. Im Gegenteil haben die
Forscher_innnen einen Anstieg der Zahl der Prostituierten sowie der Angebote auf Onlineplattformen,
über das die Prostitution in Nordirland fast vollständig organisiert ist, festgestellt. Schwere Gewalttaten
gegen Prostituierten haben seit dem Verbot geringfügig zugenommen. Ein starker Anstieg, zum Teil von
mehreren 100 Prozent, wurde festgestellt bei geringfügigeren Straftaten wie Bedrohung und Belästigung
sowie im Bereich von antisozialem Verhalten wie das Verweigern von Bezahlung oder das Drängen auf
ungeschützten Geschlechtsverkehr.
Diese Befunde basieren u.a. auf einem Vergleich zwischen Daten,
die bereits vor der Einführung des Verbotes erhoben wurden und Daten aus drei Jahren nach dessen
Inkrafttreten.

7 Fazit
Gewalt und Ausbeutung in der Prostitution ist auch ein Ausdruck von ungleichen Machtverhältnissen
aufgrund von Geschlecht und Ethnizität in der Gesellschaft. Auch ist Prostitution in der Form, wie sie
praktiziert wird, allein aufgrund der Stigmatisierung der Menschen, die in dem Bereich tätig sind, kein
Beruf wie jeder andere. Und es ist es schwer, nicht an ein Verbot zu denken, wenn sich Frauen aus
Armutsgründen oder Alternativlosigkeit prostituieren, wenn junge Mädchen unter Vorspiegelung einer
Liebesbeziehung auf den Strich geschickt werden. Trotzdem, ein wie auch immer gestaltetes Verbot
kann zwar das Zeichen setzen, dass eine Gesellschaft dies missbilligt. Es wird aber symbolisch bleiben
und die Bedingungen, die Frauen vulnerabel machen für Ausbeutung und Gewalt in der Prostitution
(Diskriminierung, Armut, Krankheit, Abhängigkeiten, Drogengebrauch etc.), nicht ändern.
Daher ist es wichtig, dass die Politik vor allem diese Bedingungen thematisiert. Das bedeutet zum
Beispiel: Ausbau eines niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung auch für Frauen aus der
EU und Drittstaaten, Finanzierung von Fachberatung, inklusive aufsuchender Beratung / Peerberatung
in der Prostitution, Aufstockung der passgenauen Ausstiegsangeboten, Sensibilisierung der Jugendhilfe
sowie die Durchsetzung der bestehenden Strafgesetze. Die Liste der notwendigen Maßnahmen ist
damit nicht erschöpft, vieles ist schon erprobt, zum Teil evaluiert 30 und bei den Fachstellen31 lange
bekannt.
Wechselnde Regierungen haben sich auf der Grundlage umfassender Beratung die letzten 20 Jahre
wiederholt für eine Entkriminalisierung und Regulierung der Prostitution entschieden. Sie haben jedes
Gesetz mit einem Evaluierungsauftrag unterlegt, um so nachsteuern und auf Fehlentwicklungen
reagieren zu können. Oben aufgezeigte Studienergebnisse geben der Entscheidung Recht, auf ein
Verbot zu verzichten. Sie sollten zumindest Anlass genug sein, so lange mit der Diskussion um einen
Richtungswechsel abzuwarten, bis die Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen Evaluation des
Prostitutionsschutzgesetzes vorliegen. Die Überprüfung wird spätestens im Juli 2022 beginnen.

Boris Büche
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Re: Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Beitrag von Boris Büche »

Das ist für mich der Kernsatz:

Ein wie auch immer gestaltetes Verbot kann zwar das Zeichen setzen, dass eine Gesellschaft dies missbilligt. Es wird aber symbolisch bleiben und die Bedingungen, die Frauen vulnerabel machen [ . . .] nicht ändern.

Dass ein "Institut für Menschenrechte" hier nicht "Menschen" schreibt, wundert aber wieder.

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Kasharius
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Re: Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Beitrag von Kasharius »

Menschen aus der aktuellen Behindertenbewegung und auch ich, haben mit dem DIM sehr gute Erfahrungen gemacht. Nicht zuletzt deshalb, weil dort auch die UN-BRK Monitoringstelle angesiedelt ist. Mich freut diese klare Positionierung sehr.

Kasharius grüßt

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floggy
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Re: Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Beitrag von floggy »

Wurde amnesty beachtet? Was das DIMR bietet, ist weniger, da hat sich amnesty weiter aus dem Fenster gelehnt. Wenn ich die Seiten lese, dann geht es immer nur um Gefahrenabwehr. Das ist zu wenig, wenn man Rechte für die Bereitsteller der Infrastruktur und für die Anbieter von Sexdienstleistungen fordert. Wenn es Dona Carmen e.V. um die Kritik am ProstSchG 2017 geht, dann wegen des Kernelements. Vergessen? Die Zwangsregistrierung und Zwangsberatung und Zwangskondomisierung hat sich der Gesetzgeber doch nur deshalb einfallen lassen, um vom Kernelement abzulenken. Im Klartext: Wer nicht will, dass Bordellbetreiber Lotterbetten zur Verfügung stellen, und die ganze Branche Geld verdienen will, ja absahnen will, der soll zu Hause bleiben, und sich um warme Füße sorgen.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.

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Thorja
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Re: Deutsches Institut für Menschenrechte - über Sexkaufverbot

Beitrag von Thorja »

Bezüglich Schutz vor Gewalt:
Ein Sexkaufverbot führt den Schutz vor Gewalt ja komplett ad absurdum.
Denn was ist die Folge? -> Kunden fürchten sich vor der Polizei und möglicherweise vor verdeckten ErmittlerInnen, die als Fake-Sexworker unterwegs sind. Was machen sie natürlich? -> Sie kontaktieren SW mit unterdrückten Nummern, selbstgebastelten Mailadressen, als anonyme User irgendwelcher Onlineplattformen. Die SW sind mehr oder weniger gezwungen, solche Kontaktaufnahmen anzunehmen, denn sie müssen die Kunden ja ein Stück weit vor der Polizei mit-beschützen, also kommen sie den Kunden tendenziell in der Wahrung ihrer Anonymität entgegen. Und genau das erleichtert es wieder Gewalttätern und Ungustln, sich einzuschleichen. Sexkaufverbot erschwert bzw. verunmöglicht Kundenscreening.
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