Zehn Sexarbeitende, die Geschichte schrieben

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deernhh
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Zehn Sexarbeitende, die Geschichte schrieben

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WELTHURENTAG
Von Kurtisanen und Orangenmädchen: Zehn Sexarbeitende, die Geschichte schrieben

Am 2. Juni ist Welthurentag. Er geht zurück auf Prostituierte, die 1975 in Lyon gegen Polizeischikane und für mehr Schutz gekämpft haben. Wir stellen zehn außergewöhnliche Sexarbeitende vor: Von Frauen, die im Krieg ihre Kunden ausspionieren sollten bis zu Männern, die Kleider trugen und vor Gericht landeten

Gesa Gottschalk - GEO Autorin
von Gesa Gottschalk
31.05.2024, 12:44

Nell Gwynn Gemälde
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© Bridgeman Images
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Nell Gwyn: Der Aufstieg eines Orangenmädchens
Sexarbeit wird im 21. Jahrhundert als "konsensuelle sexuelle oder sexualisierte Dienstleistung zwischen volljährigen Geschäftspartnern gegen Entgelt oder andere materielle Güter" definiert – danach fallen in früheren Epochen auch die zahlreichen Mätressen europäischer Monarchen in diese Kategorie. Wenige haben diese Institution so vorteilhaft für sich genutzt wie Eleanor "Nell" Gwyn. Sie beginnt um 1662 als leicht bekleidetes Orangenmädchen, das in einem Londoner Theater Früchte an die Besucher verkauft, wird Schauspielerin und tritt als eine der ersten Frauen in Hosenrollen auf. Vielleicht sind es die enganliegenden Beinkleider, die ihre Karriere befördern, in jedem Fall wird sie bald die Mätresse adeliger Männer und schließlich Charles II. Der König ist mit der Portugiesin Katharina von Braganza verheiratet, deren Schwangerschaften sämtlich in Fehlgeburten enden, und die nichts tun kann gegen seine zahlreichen Liebschaften. Nell Gwyn gebärt ihm zwei Söhne, die Charles beide in den Adelsstand erhebt, ihre Linie dauert bis heute fort. Ebenso wie zahlreiche Anekdoten, die Gwyn schon zu Lebzeiten zu einer Art Volksheldin machen. Als ihr Kutscher sich mit einem anderen prügelt, der sie eine Hure genannt hat, beendet sie den Kampf mit den Worten: "Ich bin eine Hure. Findet etwas anderes zum Streiten."
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© Creative Commons
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Kitty Schmidt: Lauschangriff im Bordell
Bettgeflüster kann nützliche Informationen enthalten, wenn der Flüsternde zum Beispiel Politiker oder Soldat ist: Immer wieder in der Geschichte haben Sexarbeitende ihre Kunden ausspioniert, im Amerikanischen Bürgerkrieg etwa. Im Zweiten Weltkrieg versucht auch der SS-Obergruppenführer und Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, Prostituierte zu diesem Zweck einzusetzen. Die Berliner Bordellbesitzerin Katharina "Kitty" Schmidt hat seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 Geld mit Emigranten außer Landes geschafft. Als sie selbst 1939 versucht zu fliehen, wird sie an der niederländischen Grenze gefasst und vor die Wahl gestellt: Konzentrationslager oder Kooperation. Ihr "Salon Kitty" in Charlottenburg wird renoviert und mit Abhöranlagen ausgestattet, im Keller arbeiten fünf Lauscher, die Protokolle anfertigen. Nicht nur Heydrich selbst nutzt das Bordell, auch ausländische Politiker wie der italienische Außenminister besuchen das Establishment. Der Lauschangriff allerdings ist wohl ein offenes Geheimnis, nachdem ein britischer Agent Mikrofone entdeckt und anzapft, hört auch der Geheimdienst Seiner Majestät mit. 1942 wird Heydrich vom tschechischen Widerstand getötet, wenig später treffen Bomben den Salon Kitty, und die Nationalsozialisten geben das Projekt auf.
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© Azoor Photo / Alamy Stock Photos / mauritius images
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Phryne: Schön wie eine Göttin
Sie ist so schön, dass ein Künstler sie zum Vorbild für eine Göttin nimmt: Phryne wird um 371 vor Christus in Böotien geboren, vermutlich in einer armen Familie, die Kapern erntet. In Athen macht sie Karriere als Hetäre, altgriechisch für "Gefährtin": Sie unterhält Männer bei Symposien, Trinkgesellschaften, zu denen Ehefrauen keinen Zugang haben. Ihre Liebhaber machen sie zu einer der reichsten Frauen des antiken Griechenlands – und bringen sie vor Gericht: Einer ihrer ehemaligen Kunden zeigt sie unter anderem wegen schamlosen Verhaltens in der Öffentlichkeit an, vermutlich ist Phrynes Prozess aber politisch motiviert. Sie wird freigesprochen. Kunstgeschichte schreibt sie als Liebesgöttin: Praxiteles, einer der bedeutendsten griechischen Bildhauer, nimmt Phryne angeblich als Vorbild für seine Aphrodite von Knidos. Die Marmorstatue ist die erste lebensgroße Plastik einer nackten Frau, angeblich kommen Seefahrer auf die Insel, nur um sie zu sehen.
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© BEBA / PHOTOAISA / Interfoto
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George Villiers: Favorit des englischen Königs
Statt Mätressen hat König James I. Favoriten, junge Männer am englischen Hof, die er mit Gunstbezeugungen und Ämtern belohnt. "Sodomie" ist in seiner Zeit eine Straftat, seine Ehefrau Anne ist mindestens zwölfmal von ihm schwanger – trotzdem sind sich Historiker weitgehend einig, dass James zumindest zu seinem liebsten und letzten Favoriten auch eine sexuelle Beziehung pflegt: George Villiers. In den niederen Landadel hineingeboren, verdankt er seinen späteren Aufstieg vor allem seiner Mutter Mary. Die Witwe setzt alles daran, dass ihr Sohn am Hof Erfolg hat, schickt ihn unter anderem nach Frankreich. Mit 21 Jahren erregt Villiers, 26 Jahre jünger als der König, bei einer Jagd erstmals die Aufmerksamkeit des Monarchen. Er ist schön, spricht französisch, kann tanzen und fechten. Schnell steigt er am Hof auf, James schlägt ihn zum Ritter und macht ihn zum ersten Herzog von Buckingham. Villiers ist James’ engster Berater in dessen letzten Lebensjahren und nutzt seinen Einfluss vor allem dazu, Verwandten Geld und Ämter zuzuschanzen. Als Lord Admiral und de facto Außenminister begleitet er den Kronprinz nach Spanien und trägt mit seinem Verhalten wohl maßgeblich dazu bei, dass dessen Heiratspläne mit einer spanischen Prinzessin platzen. Trotzdem behält er seine Ämter, als der Prinz als Charles I. den Thron besteigt. Mehrere erfolglose Militärkampagnen später wird Villiers ermordet und ist zu diesem Zeitpunkt so unbeliebt, dass die Öffentlichkeit den Attentäter als Helden feiert
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© Alain Voloch / Gamma-Rapho / Getty Images
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"Ulla" und der Kampf für die Rechte von Sexarbeitenden
Am 2. Juni 1975 haben die Prosituierten von Lyon genug. Seit Jahren schikaniert die Polizei der Stadt sie, hat die Stundenhotels geschlossen und belegt die Frauen, die auf der Straße arbeiten, mit Geldbußen – oft mit mehreren am Tag. Wenn sie die Bußen zahlen wollen, werden sie auf dem Revier oft stundenlang festgehalten und verlieren ihre Einnahmen, wenn sie nicht zahlen, droht ihnen Gefängnis – und der Verlust ihrer Kinder. Zunehmend im Geheimen müssen sie deshalb ihrer Arbeit nachgehen und sind vermehrter Gewalt ausgesetzt. Sie organisieren sich, eine ihrer Anführerinnen, die sich "Ulla" nennt, tritt im Fernsehen auf und fordert Schutz. Nichts geschieht. Gemeinsam mit mehr als 100 Frauen und einem verbündeten Priester besetzt "Ulla" die Kirche Saint Nizier. Acht Tage lang harren sie aus, finden Nachahmerinnen und Sympathisanten in anderen Städten Frankreichs. Dann stürmen 120 Polizisten mit 20 Hunden und Tränengas die Kirche. Ulla und andere werden so verprügelt, dass sie ins Krankenhaus müssen. Vergeblich protestiert der Priester gegen die Verletzung des Kirchenasyls. Der 2. Juni aber gilt als Geburtsstunde der Bewegung für die Rechte von Sexarbeitenden in Europa. Seit 1976 ist er als "Internationaler Hurentag" ein inoffizieller Gedenktag.
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© Historic Images / Alamy Stock Photos / mauritius images
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Fanny Murray: Die Frau und die Politiker
1729 in Bath geboren, wird Fanny Murray mit 12 Jahren Waise und arbeitet als Blumenmädchen, bis der Politiker John Spencer sie "verführt" – so nennen zeitgenössische Darstellungen, was eine Vergewaltigung war. Mit 14 Jahren zieht sie nach London und wird dress-lodger: Sie muss als vertraglich gebundene Prostituierte arbeiten, um die teuren Kleider abzubezahlen, in denen sie Kunden anlockt. Ihre Geschicke ändern sich, als der Zuhälter Jack Harris sie in sein Buch "Harris’s List of Covent Garden Ladies" aufnimmt, eine Art Reiseführer zu Londons Prostituierten. Schnell wird Murray berühmt und die Mätresse mehrerer führender Politiker und anderer bekannter Männer. Einer von ihnen stolpert über seine Faszination: 1763 taucht ein pornographisches Gedicht auf, das der radikale Journalist und Politiker John Wilkes als junger Mann geschrieben hat – und das von Fanny Murray handelt. Es wird im House of Lords verlesen, das britische Parlament erklärt Wilkes für vogelfrei. Nach der amerikanischen Unabhängigkeit stellen die ihn bewundernden amerikanischen Revolutionäre sicher, dass ihre neue Verfassung etwas Ähnliches verhindert.
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© Smithsonian National Museum of Asian Art
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Takao II: Die berühmteste Kurtisane von Edo
Sexarbeit in Edo, der de facto Hauptstadt Japans, ist vom 17. bis zum 19. Jahrhundert auf einen Stadtbezirk beschränkt: Yoshiwara. Im bedeutendsten Bordell des Viertels hat 1655 Takao II ihren ersten Auftritt, bald wird sie zur berühmtesten tayu von Yoshiwara. Diese höchstrangigen Kurtisanen werden vor allem für Unterhaltung und musikalische Darbietungen bezahlt, gewähren auch sexuelle Dienste, dürfen aber Freier zurückweisen. Angeblich verliebte sich ein junger Adliger in Takao und kaufte sie mit ihrem Gewicht in Gold frei – obwohl der Bordellbesitzer ihre Ärmel mit Eisen beschwerte. Der Legende nach verweigerte sie sich ihm auf dem Rückweg und wurde von ihm getötet. Diese Version der Geschichte wurde durch Lieder und das traditionelle Theater Kabuki berühmt gemacht. Tatsächlich starb die 19-Jährige wohl an einer Lungenkrankheit.
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© Magite Historic / Alamy Stock Photos / mauritius images
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Fanny und Stella: Skandal um Männer in Frauenkleidern
Am 28. April 1870 rauschen Fanny und Stella in das Strand Theater in London, winken dem Publikum mit ihren Fächern zu, plaudern mit ihren beiden männlichen Begleitern in ihrer Privatloge – und werden beim Verlassen des Theaters von der Polizei verhaftet. Als sie am nächsten Tag vor dem Haftrichter erscheinen, tragen sie noch immer Frauenkleider, doch ihre bürgerlichen Namen lauten Frederick Park (r.) und Thomas Boulton. Die Polizei hat die beiden jungen Männer schon länger beobachtet, die als Fanny und Stella in Restaurants dinieren, bei der Ruderregatta zwischen Cambridge und Oxford zuschauen und ins Theater gehen. Die beiden Freunde arbeiten auch als Prostituierte, und die Anklage lautet: "Verschwörung, um Sodomie zu begehen". Sie werden mehrfach von verschiedenen Ärzten untersucht, alle großen Zeitungen berichten über den Prozess, der mit einem Freispruch endet. Der Fall trägt zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes 15 Jahre später bei, das nicht mehr nur eindeutige "Sodomie" unter Strafe stellt, sondern "grobe Unanständigkeit" unter Männern – und damit jegliches homosexuelles Verhalten. Dem Gesetz werden unter anderem der Schriftsteller Oscar Wilde und der Mathematiker Alan Turing zum Opfer fallen.
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© Erich Lessing / akg-images
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Veronica Franco: Die Kurtisane, die als Literatin berühmt wird
Viele Kulturen und Epochen unterscheiden zwischen "niederen" Prostituierten, die auf der Straße oder in Bordellen arbeiten, und "höheren", die ihre exklusiven Kunden auch geistig unterhalten. Im Venedig des 16. Jahrhunderts gehört Veronica Franco zu letzteren, sie ist eine cortigiana onesta, eine ehrliche Kurtisane. Ungewöhnlich für Mädchen der Renaissance erhält sie eine humanistische Bildung vom Hauslehrer ihres Bruders, Kontakt zu Schriftstellern und Künstlern tragen weiter zu ihrer Gelehrtheit bei. Mit 20 steht sie im Katalog der Kurtisanen, der die Namen, Adressen und Preise aller bekannten Prostituierten des Stadtstaates aufführt. Das Geld ist an ihre Mutter zu zahlen. Berühmt wird Franco als Literatin: Sie schreibt zwei Gedichtbände, liefert sich einen literarischen Streit mit einem Erzbischof und veröffentlicht Briefe, in denen sie das Schicksal junger Venezianerinnen ohne Mitgift beklagt: Ihnen bleibt meist nur die Wahl zwischen Kloster und Kurtisanentum.
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© Signal Photos / Alamy Stock Photos / mauritius images
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Esther Lachmann: Luxusleben dank Liebhaber
Sie ist eine der berühmtesten Kurtisanen im Frankreich des 19. Jahrhunderts: Esther Lachmann. Als Tochter polnischer Juden in Moskau geboren, heiratet sie mit 17 Jahren einen Franzosen, bekommt einen Sohn und verlässt ihren Mann kurz darauf. Sie reist nach Berlin, Wien und Istanbul, bevor sie sich in Paris niederlässt und die Mätresse eines Pianofabrikanten wird. Weitere Eroberungen, die ihren luxuriösen Lebensstil finanzieren, sind ein britischer Lord und ein französischer Bankier. 1851 heiratet sie einen reichen Portugiesen, beendet die Ehe aber bereits am nächsten Tag per Brief. Die Hochzeit bringt ihr eine große Summe Geld ein und einen neuen Namen: La Païva. Wenig später wird sie die Mätresse des preußischen Industriellen Guido Henckel von Donnersmarck, der ihr ein Haus an der Champs-Elysée baut. Hier hält La Païva Hof, empfängt in ihrem Salon unter anderem Gustave Flaubert und Émile Zola. Unter dem Verdacht der Spionage werden sie und von Donnersmarck, inzwischen verheiratet, 1878 aus Frankreich ausgewiesen.

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