In Österreich ist sie noch nicht üblich: Sexualbegleitung für Menschen mit schweren geistigen Behinderungen
Das Liebesleben behinderter Menschen ist ein Tabuthema.
Aufzählung Begleiter wollen helfen, dürfen aber nicht.
Sexualität bei Menschen mit schweren Behinderungen ist noch immer ein Tabu. Eigentlich mehr als das: "Sexualität bei Behinderung wird als gar nicht vorhanden wahrgenommen" meint Otto Lambauer, zuständig für die Behindertenarbeit der Caritas. Aber auch Menschen mit schwerer geistiger Behinderung haben das Bedürfnis nach Nähe und Sexualität.
In Deutschland und der Schweiz gibt es daher die sogenannte
"Sexualassistenz" oder "Sexualbegleitung", die Menschen mit schweren Einschränkungen zu einem selbstbestimmten Sexualleben verhelfen möchte. Sexualassistenz kann sowohl Hautkontakt, Streicheln, das Berühren des Intimbereichs – bis zum Orgasmus oder Geschlechtsverkehr – umfassen. Die Sexualassistenten begreifen sich als Dienstleister und nicht als Beziehungsersatz.
In Österreich fällt Sexualassistenz unter das Prostitutionsgesetz. Sie gilt als Zuführung zur Prostitution, da es sich um die "gewerbsmäßige Vornahme einer sexuellen Handlung" oder "die gewerbsmäßige Duldung sexueller Handlungen am eigenen Körper" handelt. Die Prostitutionsgesetze sind Landessache, aber ähneln einander inhaltlich. Rechtlich gesehen gelten das Berühren der weiblichen Brust, der Geschlechtsteile oder erotische Massagen als Prostitution. Wird solch ein Angebot zwei bis dreimal im Monat angenommen, fällt das bereits unter erwerbsmäßige Prostitution. Die ist nur registrierten Prostituierten erlaubt.
Einen Vorstoß in Richtung Gesetzesänderung für Sexualassistenz hat nun der soziale Dienstleister "Alpha Nova" in der Steiermark unternommen. Margit Schmiedbauer, Initiatorin des Projektes "Libida" fordert neue rechtliche Rahmenbedingungen, die Sexualassistenten ihre Arbeit ermöglichen sollen. Auch Geschlechtsverkehr im Rahmen einer Sexualbegleitung für behinderte Menschen soll möglich werden. Die Kosten würden sich auf 70 Euro pro Stunde belaufen.
Eine "reine Dienstleistung"?
Im Laufe des letzen Jahres hätten sich laut Schmiedbauer zahlreiche Interessenten gemeldet, die sich zum Sexualassistenten ausbilden lassen würden. Derzeit müssten diese sich als Prostituierte registrieren, was mit kostenpflichtigen wöchentlichen Untersuchungen verbunden wäre. "Das ist nicht zumutbar" meint Schmiedbauer. Sie betont außerdem, dass die Sexualbegleitung ausschließlich für Menschen angeboten würde, die in der Lage sind – auch nonverbal – ganz klar zu signalisieren, dass sie solch eine Dienstleistung brauchen und wollen. Meist wird der Kontakt ja über Dritte hergestellt, etwa Eltern oder Betreuer, wenn es zu Auffälligkeiten wie Übergriffen von Behinderten auf andere gekommen ist.
Hier wäre es ganz wichtig, lange Vorlaufgespräche zu führen, um festzustellen, was die Klienten wollen. Und genau an diesem Punkt setzen Lambauers Bedenken ein: "Menschen mit schwerer intellektueller Behinderung leben meist in einer sehr isolierten Situation. Da kommt dann einmal in der Woche eine Person, die taktil fassbar ist – das ist mehr als eine Dienstleistung. Dass dem Klienten das so klar ist, dass es sich um eine reine Dienstleistung handelt – das glaub ich nicht."
Lambauer gibt zu bedenken, dass das Verhalten schwerbehinderter Menschen zu einem großen Teil von ihrem Umfeld interpretiert würde, da sie selbst nicht in der Lage wären, sich unmissverständlich zu artikulieren. Er wirft die Frage auf, inwieweit Menschen mit Beeinträchtigungen eine eindeutige Stellungnahme zu Sex abgeben könnten.
Reichlich Diskussionsbedarf
Eine Vorreiterin in Sachen Sexualbegleitung ist Nina de Vries. Die 46-Jährige arbeitet bereits seit zehn Jahren in dem Bereich und bietet vor allem Menschen mit schweren geistigen Behinderungen erotische und sinnliche Berührungen an. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" meint de Vries: "Ich mache meine Arbeit nur mit denjenigen, die klar signalisiert haben, dass sie Unterstützung wollen. Diese Menschen sind in der Begegnung sehr bestimmt und auch bestimmend. Nur weil jemand nicht sprechen kann, heißt das nicht, dass er nicht klar machen kann, was er will."
Aber was passiert, wenn Klienten sich verlieben? "Meine Klienten freuen sich sehr, wenn sie mich sehen, und genießen das auch. Sie nehmen sehr sinnlich wahr. Verliebtheit ist aber ein Gedankenkonzept."
Fest steht, dass es in diesem Bereich noch Diskussionsbedarf gibt. Zur Zeit sind in Deutschland und der Schweiz Sexualassistenten fast ausschließlich weiblich und die Klienten männlich. Dass auch behinderte Frauen sexuelle Gefühle haben und diese ebenfalls ausleben wollten, würde oft übersehen, meint Lambauer. De Vries selbst bietet ihre Dienste auch Frauen an. Die würden aber eher selten zu ihr kommen.
Samstag, 17. November 2007
http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefa ... cob=312739
In dem Zusammenhang lesenswert:
http://www.beruehrung.org/